Die Spätzeit der Hanse
Würde man eine Umfrage machen, in welche Zeit die Hanse gehört, dann würden die meisten wohl antworten: In das Mittelalter! Wenige wissen, dass die Hanse als Städtegemeinschaft bis ins 17. Jahrhundert fortbestand. Die Zeit war von Krisen gezeichnet und dem hansischen Zusammenschluss begegneten zahlreiche Probleme, die letztlich dazu führten, dass 1669 der letzte Hansetag stattfand.
Verdienen die Aktivitäten in diesen turbulenten Zeiten sicher unsere Aufmerksamkeit, so wurden die Quellen nach 1600 noch nicht allgemein zugänglich gemacht. In unserem FGHO-Gemeinschaftsprojekt haben wir einige Quellen ausgewählt, die wir gemeinsam bearbeiten wollen.
Zwischen 1550 und 1669 fanden trotz der (religions-)politischen Herausforderungen insgesamt 36 Allgemeine Hansetage statt. Während die Zahl der allgemeinen hansestädtischen Versammlungen im 16. Jh. abnahm, trafen sich die Hansestädte in der ersten Hälfte des 17. Jh. wieder öfter.
An den Hansetagen des 17. Jh. nahmen insgesamt nur noch recht wenige Städte teil – im Schnitt waren nur noch Vertreter von um die zehn Hansestädten anwesend. Lübeck, Hamburg, Bremen, Rostock und Braunschweig, dann noch Lüneburg, Danzig, Wismar, Magdeburg und Stralsund besuchten über die Hälfte der Versammlungen. Auch Hildesheim, Köln, Stettin und Osnabrück waren mehrmals vertreten. Münster, Nijmegen, Dortmund, Soest, Arnheim und Deventer – alles Städte aus dem Kölner Drittel – besuchten nur einen der Hansetage dieser Zeit. Die livländischen Städte beteiligten sich nicht mehr an den Hansetagen.
Mitte des 16. Jahrhunderts hatte man im Gegensatz zu dieser eher geringen Beteiligung in einer Aufstellung der Hansestädte noch 66 Städte gezählt, wenn auch bereits einige Städte als ‚demembriert‘, also ausgeschlossen, aufgezählt wurden. Gründe für einen solchen Ausschluss konnten der selbstgewählte Austritt, der Verlust der Unabhängigkeit einer Stadt (Bedingung für eine Zugehörigkeit zum hansischen Zusammenschluss) oder (meist zeitlich begrenzt) auch innenpolitische Probleme einer Stadt sein.
Im Jahre 1612 wurde auch für Stralsund – eine wichtige Hansestadt der Gruppe um Lübeck – über einen Ausschluss aus der hansischen Gemeinschaft diskutiert. In unserer Quellenzusammenstellung haben wir auch eines der Schreiben in der Diskussion um Stralsunds Hansemitgliedschaft aufgenommen. Ausgeschlossen wurde die Stadt übrigens letztlich nicht: Noch 1669 war sie zum Hansetag nach Lübeck eingeladen.
Nahmen auch die Teilnehmerzahlen ab, so fanden doch alleine zwischen 1604 und 1629 insgesamt 23 Allgemeine Hansetage statt, zu denen alle Hansestädte eingeladen waren. Aus dieser politisch bewegten Zeit haben wir in unser Transkriptions-Projekt vier Rezesse aufgenommen, aus den Jahren 1612, 1614, 1618 und 1621.
Schließlich begann 1618 der Dreißigjährige Krieg. Da die Umstände das Zusammenkommen von allgemeinen Hansetagen zunehmend erschwerten, beauftragte man auf dem Lübecker Hansetag 1629 schließlich Lübeck, Bremen und Hamburg kommissarisch mit der Verwaltung der hansischen Angelegenheiten. Auch schlossen die drei Städte 1630 ein Schutzbündnis auf zehn Jahre, das 1641 mit zehnjähriger Laufzeit verlängert und 1651 erneuert wurde. Auch den Bündnisvertrag von 1641 haben wir in unsere Projekt-Quellensammlung mit aufgenommen.
Während vor allem Lübeck, Hamburg und Bremen also im 17. Jahrhundert die ‚hansische Sache‘ weiterverfolgten, fand nach 1629 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges kein allgemeiner hansischer Konvent mehr statt.
Der Dreißigjährige Krieg hatte den bereits zuvor nicht mehr blühenden Handel in die hansischen Kontore deutlich gestört. Das Kontor in Nowgorod war seit der Schließung 1494 nicht wieder richtig in Betrieb genommen worden, auch wenn man noch 1603 eine Gesandtschaft nach Russland geschickt hatte, um den Handel dorthin wieder zu beleben. Das Londoner Kontor war 1598 nach Streitigkeiten um die Handelsrechte von Engländern im Heiligen Römischen Reich und Hansekaufleuten in England zeitweise geschlossen worden, hatte sich aber wegen der politischen Lage auch nicht wieder erholt. Erst 1666 mit dem Londoner Stadtbrand bemühte man sich wieder um diese Niederlassung. Und auch der Handel nach Brügge – im 14. und 15. Jh. ein zentraler Punkt in der hansischen Wirtschaftspolitik – hatte bereits im 16. Jahrhundert gelitten, da man das Kontor nach Antwerpen verlegt hatte. Aus dem Jahr 1651 liegt nun ein Schreiben der Stadt Brügge an Lübeck vor, das ein Gesuch um die Wiederherstellung des hansischen Handels dorthin enthält. Auch dieses Schreiben haben wir in unsere Auswahl an Quellendigitalisaten aufgenommen.
Die hier behandelte Zeit gibt Einblicke in die Spätzeit der Hanse und in die letzten regelmäßigen gemeinsamen Aktivitäten der Hansestädte. Zwar waren 1651, 1662 und 1668 gesamthansische Versammlungen geplant, kamen aber nicht zustande. Doch die Zerstörung des Stalhofs durch das Feuer in London 1666 erforderte gemeinsame Maßnahmen und führte auch zum Hansetag 1669, der aber die letzte Versammlung der Hansestädte sein sollte.